Der Hessische Landtag hat heute über die Rückkehr zu einem angeblich „normalen“ Unterrichtsbetrieb an den Schulen im Land debattiert. In seiner Antwort auf die Regierungserklärung von Kultusminister Alexander Lorz (CDU) zu diesem Thema stellte der bildungspolitische Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, Christoph Degen, fest, dass die Landesregierung den Schulbetrieb in ein Lotteriespiel für Lehrkräfte, Schüler*innen und deren Eltern verwandelt habe.
Degen sagte am Dienstag im Hessischen Landtag: „Seit dem Ende der Sommerferien ist das einzig Verlässliche an unseren Schulen die Unsicherheit. In den ersten 14 Tagen des neuen Schuljahrs musste über 50 Klassen geschlossen in Quarantäne geschickt und sechs Schulen komplett zugemacht werden. Das, was der Kultusminister als ‚Normalbetrieb‘ bezeichnet, ist alles andere als normal. Es ist ein Glücksspiel für alle Beteiligten – und der Einsatz bei diesem Spiel ist die Gesundheit der Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler.“
Der SPD-Politiker erneuerte die Forderung seiner Fraktion, einen verbindlichen Stufenplan aufzustellen, der landesweit einheitlich festschreibe, wann und in welcher Form bei steigenden Corona-Fallzahlen die Infektionsschutzmaßnahmen an den hessischen Schulen zu verschärfen sind. „Wenn der Herr Minister Lorz einfach seine Arbeit gemacht hätte, dann hätte es rechtzeitig zum Schuljahresanfang den Stufenplan – und damit Planungssicherheit für die Schulen – gegeben. Stattdessen hat er viel Zeit darauf verwendet, mit weitgehend sinnfreien Argumenten zu erklären, warum er so einen Plan für überflüssig hält“, sagte Degen.
Überaus bedenklich sei, so Degen, dass es in Hessen keinerlei Standards für den Unterricht unter Corona-Bedingungen gebe: „Unterrichtet wird mal mit Maske, mal ohne. Mal mit Abstand, mal ohne. Mal mit Test, mal ohne. Mal mit digitalen Endgeräten, meist aber ohne. Gut zwei Wochen nach dem Ende der Sommerferien liegt eine sehr anstrengende Etappe hinter den Schulen. Und wenn das Schuljahr so weitergeht, wie es angefangen hat, wird allen Beteiligten bald die Puste ausgehen“, prognostizierte Christoph Degen. Das Lorz’sche Prinzip „Augen zu und durch“ werde sich auf Dauer jedenfalls nicht durchhalten lassen.
Absolute Priorität müsse es haben, weitere Schulschließungen zu verhindern, so Degen. Dass überhaupt Unterricht stattfinden könne, sei dem beachtlichen Engagement der Schulleitungen und der Lehrer*innen zu verdanken, die Verantwortung übernommen hätten, wo der Minister diese verweigere. „In dieser schwierigen Phase hätte der Kultusminister entscheiden und führen müssen“, sagte Christoph Degen. „Aber das hat er nicht getan. Er hat lediglich versucht, alle Verantwortung für das Gelingen des Schulstarts auf die Schulleitungen und die Schulträger abzuschieben. Und als ihm das nicht gelungen ist, hat er den Beginn des neuen Schuljahrs mit seinen Last-Minute-Richtlinien gründlich chaotisiert. Gutes Regieren sieht deutlich anders aus.“
Während Lorz die Schulen beim Thema Infektionsschutz alleine lasse, gängele er sie bei der Organisation des Unterrichts. So verhindere das Ministerium individuelle Modelle zur Kombination von Präsenz- und Fernunterricht, kritisierte Degen: „Ein strukturierter Wechsel zwischen den beiden Unterrichtsformen erlaubt es, die Lerngruppen nach Bedarf zu verkleinern, so dass größer Abstände eingehalten werden können, wenn es erforderlich ist. Außerdem ließen sich dabei sowohl das reale Infektionsrisiko als auch die Angst vor einer Ansteckung mit dem Corona-Virus reduzieren. An dieser Stelle aber haben die Schulen gar keinen Entscheidungs- und Handlungsspielraum. Das ist völlig widersinnig.“
Verschärft würden die Probleme, die der Minister in der Corona-Krise durch falsche oder gar keine Entscheidungen selbst geschaffen habe, durch die Versäumnisse der Vergangenheit, so Christoph Degen. Er sagte: „Der hausgemachte Lehrkräftemangel, der auf Planungsfehlern der zurückliegenden Jahre beruht, wird geleugnet. Der Sanierungs- und Modernisierungsstau an den Schulen wird ignoriert. Der Aufbau einer funktionierenden Infrastruktur für das digitale Lehren und Lernen wird verschleppt. Offensichtlich interessiert sich der Kultusminister nicht wirklich für seinen Zuständigkeitsbereich. Das ist bitter für alle, die sich um gute Bildung für unsere Kinder und Jugendlichen bemühen. Und es nimmt einer ganzen Schülergeneration die gerechte Chance auf erfolgreiches Lernen.“